LOS ANGELES, VEREINIGTE STAATEN – Ich war auf einer Mission. Aber war ich wirklich bereit dafür? Diese Frage beschäftigte mich, als ich am Flughafen in LA aus dem Flugzeug stieg. Es fühlte sich nicht so an. Vierzehn Stunden zuvor hatte ich Neuseeland verlassen, und zum ersten Mal in meinem Leben war ich nicht bereit, zu gehen – das war eine neue Erfahrung.
Übermüdet durchlief ich mechanisch die scheinbar sinnlose Prozedur der US-Grenzkontrolle. Als ob ich, ein deutscher Staatsbürger, ausgerechnet in die USA illegal einwandern wollte. Innerlich schüttelte ich den Kopf. Zumindest war der Grenzbeamte diesmal freundlich. Ich erhielt meine Einreisegenehmigung und stand eine halbe Stunde später draußen vor dem Flughafen. Ich atmete tief durch. Ich habe eine Mission, erinnerte ich mich: die Grauwale von Baja California Sur.
Vereinigte Staaten | Los Angeles
OBEN: Skyline von Los Angeles, einer Stadt voller Kontroversen.
Mein Interesse für Grauwale begann, nachdem ich Cristina Mittermeiers Serie „The Voyage“ gesehen hatte. Seitdem stand es auf meiner Bucket List, sie in einer der drei Lagunen von Baja California Sur in Mexiko zu sehen – dem Ort, den sie zur Paarung und Entbindung aufsuchten.
Das Coole ist, es ist kein gewöhnlicher Whale-Watching-Ausflug. Mit etwas Glück kommen die Wale ans Boot heran, um sich am Kopf streicheln zu lassen und ihre Kälber zu präsentieren. Bereits bei der Vorstellung, stieg die Vorfreude in mir auf.
Aber zuerst musste ich dort ankommen. Etwa 1000 Kilometer und vierzehn Tage Reise trennten mich noch von den Walen.
Mir wurde die Ironie bewusst: Grauwale haben die längste Migration aller Säugetiere. Rund 19.000 Kilometer legen sie von ihren Futtergründen in der Arktis bis zu den Lagunen in Mexiko zurück. Ihre Reise dauert etwa zwei bis drei Monate, und sie fasten dabei ganze sechs Monate lang. Also ging es mir doch nicht allzu schlecht, dachte ich, als ich den Bus nach Downtown LA betrat.
Damals wusste ich noch nicht, dass diese Reise nicht nur um die Wale gehen würde. Ich stand vor einer langen Reise. Sehr lang. Aber auch unglaublich interessant und aufschlussreich.
Vereinigte Staaten | Los Angeles
OBEN: Das ikonische Hollywood-Sign vom Griffith Observatorium aus gesehen.
TAG 1-3: Los Angeles, Vereinigte Staaten
Mein Hostel befand sich in Korea Town, also musste ich die U-Bahn nehmen, um dorthin zu kommen. Als ich auf der Rolltreppe zur Plattform der LA Metro Station hinunterstieg, war das erste, was mir in dieser Stadt begegnete, eine obdachlose, psychisch kranke Afro-Amerikanerin, die von vier bewaffneten Sicherheitsleuten bedrängt wurde. Meine ersten Gedanken waren offensichtlich: „Was zur Hölle?“
Nach dieser Szene und dem Anblick der bewaffneten Wachen kam mir die Frage, wie sicher die U-Bahn wohl sei. Mit den Schreien der Frau im Hintergrund, die vehement forderte, in Ruhe gelassen zu werden, fragte ich einen Fahrkartenverkäufer nach der Sicherheit der U-Bahn. Er lachte nur.
„Ja, die U-Bahn ist sicher“, sagte er.
„Auch nachts?“, fragte ich.
Er lachte erneut. „Ja, auch nachts.“ Dann hielt er kurz inne. „Aber die Gegenden um die U-Bahn-Stationen herum sind vielleicht nachts nicht besonders sicher“, fügte er nachdenklich hinzu. Aha, dachte ich. Sehr beruhigend.
Nach einem netten Gespräch über europäische Politik und drei verpassten U-Bahnen kam ich schließlich in meinem Hostel an. Um den Jetlag zu bekämpfen, machte ich mich auf den Weg zum Walk of Fame. Doch während ich am Abend durch die Stadt schlenderte und wie besessen nach Matthew McConaugheys Stern suchte, beschlich mich ein Verdacht.
Manchmal gibt es Orte, auf die ich mich einfach nicht einlassen kann. Sie passen nicht zu mir. Und in den nächsten zwei Tagen bestätigte sich genau dieses Gefühl in LA.
Vereinigte Staaten | Los Angeles
OBEN: Santa Monica Pier. Im Nachhinein hätte ich weniger die angenehmen Seiten festhalten und mehr die Situationen auf der Straße fotografieren sollen.
Ehrlich gesagt war es nicht schwer, keine Verbindung zu LA aufzubauen. Während ich durch die Stadt lief, sah ich Dinge, die mich erschütterten. Und laufen, war mein erster Fehler, wie mir ein Reisender später erzählte.
Auf den schmutzigen Gehwegen wurde ich zwei Mal angegriffen und mehrere Male angeschrien, von einigen der hunderten Drogenabhängigen, die das Stadtbild von LA prägen. Die meisten dieser Obdachlosen waren afro-amerikanisch, ein Zeugnis der rassistischen Ungleichheiten in den USA.
In der Nähe der Wohnorte der Reichen lagen Menschen, die vom Fentanyl bewusstlos waren oder manische Episoden hatten, während Lamborghinis und Mercedes mit aufdringlichem Motorsound vorbeifuhren. Kein Anzeichen von Empathie für das Elend anderer war in dieser Stadt zu finden.
Der Kontrast war extrem, und die Atmosphäre war angespannt; ich konnte es spüren. Sogar normale Menschen machten auf mich den Eindruck, als ob sie mental am Limit wären. Die Latinos, eine Kultur, die normalerweise voller Leben und Wärme ist, hatten nur tote, leere Blicke, arbeiteten Tag und Nacht, um die US-Wirtschaft am Laufen zu halten.
Ich habe auf meinen Reisen schon einiges an Elend gesehen, aber es ist schockierender, ein solches Niveau in einem Land zu erleben, das theoretisch alle Ressourcen hat, um diese sozialen Probleme zu bekämpfen.
Die Tage vergingen wie ein Fiebertraum. Ich wollte einfach nur weg, fühlte mich aus dem Gleichgewicht und verlor völlig das Gefühl, im Moment zu sein. Auf Autopilot besuchte ich die obligatorischen Sehenswürdigkeiten, doch meine Gedanken blieben die gleichen: Das ist nicht meine Stadt.
Nach drei Tagen war es eine Erleichterung, den Flixbus nach San Diego zu nehmen.
Vereinigte Staaten | Pazifischer Ozean
OBEN: Eine Seemöwe kreist über dem Whale-Watching-Boot in der Bucht von San Diego.
TAG 4-6: San Diego, Vereinigte Staaten
San Diego, mit seiner Sauberkeit und Ruhe, war eine willkommene Abwechslung. Mein Geist entspannte sich merklich, und plötzlich war wieder Platz für einen wichtigen Gedanken: Grauwale! LA war so intensiv gewesen, dass ich mental keinen Raum für meine Mission hatte.
Hier war es möglich, Grauwale zu sehen.
Sie ziehen entlang der kalifornischen Küste auf ihrem Weg zu den Lagunen und zurück zu ihren Futtergründen. Dies war tatsächlich der gefährlichste Teil ihrer Reise. Da die Wale nicht immer in Küstennähe bleiben können, besonders im Bereich der Monterey-Bucht, sind sie anfällig für Angriffe durch ihre einzigen Feinde: Orcas.
Etwa ein Drittel der Kälber wird auf dem Weg zur Arktis getötet. Die Orcas, die in Gruppen zusammenarbeiten, trennen das Kalb von der Mutter und drücken es dann nach unten, um es zu ertränken.
Zu diesem Zeitpunkt, Ende März, waren die Kälber noch in den Lagunen Mexikos, also würden nur die Männchen und die nicht trächtigen Weibchen an San Diego vorbeiziehen. Dennoch war ich bereit für das Abenteuer.
Ich buchte eine Whale-Watching Tour und machte mich auf mein Abenteuer. Nach der Hektik der Stadtlandschaft von LA war es ein gutes Gefühl, wieder in der Natur zu sein. Ich fühlte mich revitalisiert, als ich die Seevögel im Hafen beobachtete und an Bord des Schiffes ging. Auf dem Ozean war ich wieder in meinem Element.
Den Horizont absuchend, sah ich ein paar Große Tümmler und eine Gruppe kleinerer Gemeiner Delfine. Aber keine Wale.
Das blieb auch so, bis wir zum Hafen zurückfuhren. Doch dann…
Vereinigte Staaten | Pazifischer Ozean | Gemeine Delfine
OBEN: Eine Gruppe Gemeiner Delfine nutzt die Bugwelle des Bootes, um müheloser voranzukommen.
Auf dem Rückweg bewegte sich etwas im Wasser.
In der Ferne erschien kurz ein glatter, grauer Rücken und verschwand dann wieder unter den Wellen.
Das Boot kreiste, aber ohne Erfolg. Die Crew meinte, es könnte ein Finnwal gewesen sein, aber als Nerd zweifelte ich daran. Finnwale sind die zweitgrößten Tiere auf diesem Planeten, und was sich da bewegte, war definitiv nicht so groß. Doch wir fanden nie heraus, was es war.
Also, keine Wale.
Das war für mich in Ordnung. Bei Tierbegegnungen kann man nichts planen. Man hat entweder Glück oder eben nicht. Daran kann man nichts ändern.
Ich denke, es ist etwas Spirituelles daran, wilde Tiere zu beobachten. Man muss einfach loslassen. In der Vergangenheit passierten die besten Tierbegegnungen genau in diesem Zustand des Nicht-Denkens und ohne Erwartungen. Diese Theorie sollte sich später in den Lagunen von Mexiko bestätigen.
Die zwei Tage in San Diego vergingen schnell. Ich traf ein paar nette Leute im Hostel, und dann, als es Zeit war weiterzufahren… war es Zeit für eine meiner verrückten Ideen.
Vereinigte Staaten | Pazifischer Ozean | Große Tümmler
OBEN: Große Tümmler in der Bucht von San Diego.
TAG 7: Tijuana & La Paz, Mexiko
Ich weiß nicht mehr, was ich mir damals dabei gedacht habe, aber irgendwie kam mir die glorreiche Idee, die mexikanische Grenze mit einem 10-Dollar-Greyhound-Bus über den Landübergang in Tijuana zu überqueren.
Dieses Grenzgebiet gilt öffentlich als nicht besonders sicher. Auch meine mexikanischen Freunde hatten mir bestätigt, dass Tijuana zwar schön sei, man aber vorsichtig sein sollte, denn es sei wohl „un poco peligroso“ (ein bisschen gefährlich).
Und so saß ich also in einem billigen Bus, der einzige, der wie ein Gringo aussah, naiv lächelnd und voller Vorfreude auf das Erlebnis.
Außer mir waren nur ein paar ältere Mexikaner an Bord, die alle herzlich lächelten, sowie ein motivierter mexikanischer Busfahrer, der sich offensichtlich genauso auf das Erlebnis freute wie ich. Interessant, aber auch irgendwie witzig, dachte ich.
Durch das schmutzige Busfenster konnte ich den großen Stahlzaun sehen, der die beiden Länder voneinander trennt. Dahinter flatterte langsam eine große Mexiko-Flagge im Wind, und bunte kleine Betonhäuser erstreckten sich, soweit das Auge reichte. Meine Vorfreude wuchs.
Es dauerte etwa eine Stunde, um den Grenzkontrollpunkt zu erreichen. Hunderte von Autos warteten darauf, die Grenze zu überqueren. Auf der anderen Seite, Richtung USA, passierte etwa jede Minute nur ein Auto. Sarkastisch dachte ich: Ist das nicht merkwürdig?
Doch schließlich war es soweit, auszusteigen. Der Busfahrer war noch aufgeregter und grinste uns alle breit an. „Nos vemos en el otro lado!“ („Wir sehen uns auf der anderen Seite!“), rief er fröhlich und verschwand mit seinen Papieren.
So stand ich da, bereit, die mexikanische Grenze zu Fuß zu überqueren. Ich war angespannt. Ich hasste Grenzübertritte, ein paar schlechte Erfahrungen wirkten immer noch nach. Also schnappte ich mir meinen Rucksack und trat ein in die graue, dystopisch aussehende Betonkontrollstelle …


OBEN: Die Sicht auf Tijuana vom Highway aus und das Grenzgebiet zu Mexiko.
Und war überrascht!
Alle waren freundlich. Niemand störte sich daran, dass ich Ausländer war. Ich zahlte meine 45 US-Dollar für das Visum am Schalter und ging zum Grenzbeamten.
„Cuántos días quieres quedarte aquí?” [Wie lange möchtest du bleiben?], fragte er mich. „Ähhhm seis meses?“ [Sechs Monate?], antwortete ich zögernd. „Turista?“ [Tourist?]. „Sí.“ Zack, er stempelte meinen Pass und damit mein halbes Jahr Visum. Ich hatte es zurück nach Mexiko geschafft.
Danach durchsuchte eine Soldatin halbherzig mein Gepäck und bemerkte, wie glücklich ich war. „Bienvenido a México“ [Willkommen in Mexiko], sagte sie mit einem Lächeln. „Es mucho mejor aquí, allá en Estados Unidos están todos locos“ [Es ist hier viel besser, drüben in den USA sind alle verrückt], fügte sie augenrollend hinzu und lachte. „Ayy, no tienes idea“ [Oh, du hast keine Ahnung], erwiderte ich lachend.
Ich verließ die Grenzkontrolle und kam zurück zum Bus, wo ich von einer Gruppe freudig lächelnder älterer Menschen und einem strahlenden Busfahrer empfangen wurde. Alle waren bester Laune.
Es stellte sich heraus, dass der Busfahrer so aufgeregt war, weil er sich so sehr freute, die USA zu verlassen. Und die älteren Leute ebenfalls.
Nun ja, und das Grenzgebiet stellte sich überhaupt nicht als unsicher heraus.
Ich stieg an der Endhaltestelle, der Busstation von Tijuana, aus und nahm ein Uber zum Flughafen, wo ich bis 4 Uhr morgens auf meinen Flug nach La Paz warten musste – wieder eine meiner grandiosen Ideen. Ein Flug, den ich nur gebucht hatte, weil auf allen ausländischen Websites propagiert wurde, dass der Bundesstaat Baja California extrem gefährlich sei und man daher keine Nachtbusse nehmen solle. Wieder ein übertriebenes Klischee, wie sich herausstellte.
Meine Zusammenfassung der ersten Woche:
Vereinigte Staaten: Verrückt und unsicher. Mexiko: Vernünftig und sicher.
Aber jetzt, da ich in Mexiko war, war meine eigentliche Mission aktueller denn je: die Grauwale von Baja California Sur. Und ich wurde wirklich nicht enttäuscht, um es gelinde auszudrücken.
Bleibt dran.
[Fortsetzung folgt]
Vereinigte Staaten | Los Angeles